Jugendstrafrecht

Ein Beitrag von Axel Wintermeyer, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion

„Hinter Strenge und Härte verbirgt sich die helfende Liebe, die weiß um die Verstrickung aller in Schuld und Unrecht.“ Dies war einmal ein hehrer Grundsatz eines erfahrenen Jugendrichters im Jahre 1958. Aber wir wissen heute auf Grund kriminologischer Forschung: Jugendliche und junge Erwachsene werden durch lange Haftstrafen nur schwer gebessert. Denn negative Vorbildfunktion der Mitgefangenen und die Subkulturbildung wirken häufig kontraproduktiv. Neue Wege im Jugendstrafrecht heißt deshalb: Wenn wir die Potenziale junger Menschen nicht für immer verlieren wollen, muss es zunächst um Erziehung zum Leben ohne Straftat gehen.

In den meisten Fällen gelingt dies auch. Ohne diese erzieherische Einwirkung ist die Statistik jedoch alarmierend: Kinder- und Jugendkriminalität sind auf hohem Niveau. Jährlich werden etwa 110 000 Kinder als Tatverdächtige ermittelt, gegen die strafrechtlich nicht vorgegangen werden kann, sondern nur Jugendhilfsmaßnahmen möglich sind. In der Gruppe der 14- bis 18-Jährigen werden pro Jahr 300 000 Verdächtige ermittelt. Vor allem aber die Kriminalität der 18- bis 21-Jährigen steigt Besorgnis erregend an – zwischen den Jahren 1993 und 2001 um 78 Prozent im gewaltkriminellen Bereich!

Dies und spektakuläre Einzelfälle kindlicher und jugendlicher Intensivtäter (erinnert sei nur an den Fall „Mehmet“ in München) führen zum Ruf nach härterem Vorgehen. Tatsächlich gibt es Fehlentwicklungen, die korrigiert werden müssen: Im Vorfeld der Verfestigung kriminellen Verhaltens kann eine bessere Verzahnung von Jugendhilfe- und Jugendstrafrecht helfen. Die genannten Zahlen zur Kinderkriminalität sind eindeutig, und die Instrumentarien des Kinder- und Jugendhilferechts reichen zur Einwirkung auf zum Teil kindliche Intensiv- und Mehrfachtäter leider nicht aus. Man könnte im Jugendstrafrecht eine flexible Altersgrenze nach unten einführen, etwa in der Altersstufe zwischen 12 und 14, um dann individuell zu entscheiden, wo Einwirkungen des Strafrechts – etwa in Form von Auflagen oder Kurz-Arresten – notwendig sind oder wo das Jugendhilferecht – zum Beispiel durch Heimerziehung – noch ausreicht. Dies trägt der schnelleren Reifeentwicklung in der heutigen Kindheit Rechnung.

Aber es gibt noch andere Maßnahmen präventiver Art: Eltern straffälliger Kinder in England müssen sich Therapie- und Beratungskursen stellen, um elterliche Kontrolle zu lernen. Überspitzt gesagt nach dem Motto: „Eltern haften für ihre Kinder.“ Denn häufig beginnt Delinquenz mit der Verwahrlosung der Familienverhältnisse. Warum kann man so etwas nicht auch bei uns einführen? Auf der anderen Seite der Alters-Skala ist die Ausnahme zur Regel geworden. Meist werden 18- bis 21-Jährige nach Jugendstrafrecht verurteilt. Dies muss wieder ins richtige Verhältnis gesetzt werden. Es ist lebensfremd, grundsätzlich auf Heranwachsende das Jugendstrafrecht anzuwenden. Wer mit 18 volljährig ist, unbegrenzt Verträge schließen darf, den Führerschein hat, ohne Zustimmung der Eltern heiraten darf oder in ein Parlament gewählt werden kann, muss auch unbeschränkt Verantwortung tragen können.

Ich meine: Wer Taten wie Erwachsene begehen will, soll grundsätzlich auch bestraft werden können wie ein Erwachsener. Eine Öffnungsklausel bei auffallenden, erheblichen Verzögerungen der sittlichen und geistigen Entwicklung scheint dabei ein gangbarer Weg zu sein, um dem Erziehungsgedanken Rechnung zu tragen. Ebenfalls unter Erziehungsgesichtspunkten ist die Einführung eines „Warnschuss-Arrestes“ überlegenswert. Die kurzzeitige Einweisung in eine Arrestanstalt wird die entsprechende abschreckende Wirkung bei den Jugendlichen hinterlassen. Die bisherige Praxis, bei der Aussetzung einer Jugendstrafe zur Bewährung nur den „erhobenen Zeigefinger“ präsentieren zu können, reicht oft nicht aus. Die Jugendlichen empfinden den „erhobenen Zeigefinger“ noch als Freibrief für weitere Taten.

Und neue Wege sind auch beim Verfahren in Jugendsachen möglich: Warum nicht „teen courts“, wo Jugendliche über leicht-kriminell gewordene Altersgenossen „richten“ und versuchen, ein Streitschlichtungs-Programm zu erarbeiten? Sollte man nicht durch Einsatz dieses altersspezifischen Drucks versuchen, mehr Einfluss zu nehmen? Kriminalpsychologen raten dazu. Wir müssen neue Wege im Jugendstrafrecht gehen, im Interesse eines effektiven Schutzes vor Straftaten – und vor allem im Interesse einer Erziehung Jugendlicher zum Leben ohne Straftat.

Axel Wintermeyer ist rechtspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion.