„Ist alles Recht was Gesetz ist?“

Ein Beitrag von Axel Wintermeyer, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion

Während der Schulzeit ist die Welt noch in Ordnung: Nichts geht ohne das Parlament, den Bundestag. Politik ist eine einfache Sache. Der Lehrer erläutert seinen Schülern eine Grafik, dass alle Macht vom Volke ausgeht. Das Volk wählt ein Parlament (Bundestag) und aus deren Reihen wird wiederum der Bundeskanzler gewählt. Das Parlament also entscheidet über die Gesetze. Keine Entscheidung kommt zustande ohne Beteiligung der Volksvertreter, den Abgeordneten. So funktioniert eben die Demokratie – an der Schultafel.

In der Praxis kommt der Bürger zu einem ganz anderen Bild: Immer seltener geht alle Gewalt vom Volke aus, immer weniger werden die politischen Entscheidungen im Parlament gemacht. In der Kanzlerschaft Gerhard Schröders hat sich diese Tendenz noch beschleunigt. Der Kanzler pflegt das „Bündnis für Arbeit“ aus Regierung, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden. Der Verteidigungsminister beruft eine „Wehrstrukturkommission“. Der Innenminister beruft eine „Zuwanderungskommission“. Auch der Namensgeber der Hartz-Reformen war Vorsitzender des gleichnamigen Gesprächkreises und seines Zeichen VW-Vorstandsmitglied. Der Kanzler setzt einen „Nationalen Ethikrat“ ein – irgendwie neben oder über die gleichzeitig tagende „Enquete-Kommission“ des Parlaments. Man hat den Eindruck, die Politik wandert aus – aus dem Parlament in vorentscheidende Arbeitskreise, in die Hinterzimmer der Verbände, in das Zwischenreich von Wirtschaft und Verwaltung, getreu dem Motto: „Wer nichts weiß, bildet einen Arbeitskreis“.

Daraus folgt aber nicht, dass diese Kommissionen übermäßig ernst genommen würden. Sie werden vielmehr von der Exekutive immer wieder unterlaufen und übergangen. Sie haben eines gemeinsam, die weitere Schwächung des Parlaments und im Parlament eine weitere Schwächung der Opposition. Nicht mehr die parlamentarische Auseinandersetzung, der Streit um den besten Weg, steht im Vordergrund, sondern die Weichspülung wichtiger Zukunftsfragen bis hin zur parteipolitischen Unkenntlichkeit.

Es bleibt dabei, alle politischen Entscheidungen vermitteln sich letztlich über Gesetze, aber deren Qualität nimmt ab wie die Zahl der Kommissionen steigt. Es verwundert also nicht, dass die Gesetze immer komplizierter und bei 2000 Gesetzen, 3000 Verordnungen und 85000 Verwaltungsvorschriften immer undurchschaubarer werden. Der Bürger versteht sie immer weniger, folglich versteht der Bürger die Gesetzgebung und deren „Produkte“ nicht, schlimmer noch: Es fällt auch Juristen schwer, die verklausulierten und verschachtelten Vorschriften richtig anzuwenden. Der altbekannte Spruch „zwei Juristen und drei Meinungen“ ist bittere Realität geworden.

Es kann nicht sein, dass in einem Rechtsstaat das Recht nicht mehr klar, transparent und verständlich ist! Die Unklarheiten beginnen bereits im Gesetzgebungsverfahren. Die vorgeschriebene Rechtsprüfung eines Gesetzes durch das Bundesjustizministerium wird durch den zunehmenden Zeit- und Verkündungsdruck in Frage gestellt. Die ständig notwendigen Kompromissrunden im föderalen System mit seiner Mischverantwortung führen zu weiteres Unverständnis in der Bevölkerung. Hessen geht übrigens mit positiven Beispiel voran – seit 1999 wurden 3500 überflüssigen Vorschriften gestrichen. Ein „Verfallsdatum“ für alle neuen Gesetze und Verordnungen in Hessen – auf 5 Jahre befristet – ermöglicht darüber hinaus die Untersuchung auf ihre Praxistauglichkeit und Notwendigkeit. Daran dürften sich auch andere Regierungen ein Beispiel nehmen!

Im Zuge der Europäischen Union wird das deutsche Rechtssystem zunehmend fremdbestimmt, da die deutsche Gesetzgebung größten Teils direkt oder indirekt EU-Recht umsetzen muss. Das, was hier gestrichen wird, wächst in Brüssel wieder nach.

Über dies muss das Ziel der Europäischen Union die Auflockerung des völlig intransparenten Prozess der Regelungsstrukturen sein. Auch hier gibt es ein Parlament, welches allerdings kaum am Entscheidungsprozess beteiligt wird. Durch den einheitlichen EU-Wirtschaftsraum ist es daher erforderlich geworden, dass der Staat Sorge dafür trägt, dass auch seine Gesetzgebung den Standards vergleichbarer EU-Mitgliedsstaaten entspricht. Es kann nicht sein, dass ein Existenzgründer in Deutschland mehr als ein halbes Jahr benötigt um eine GmbH zu gründen. In Großbritannien benötigt ein Existenzgründer weit weniger Bürokratieaufwand und kann schon in zwei Wochen eine GmbH sein eigen nennen.

Untersuchungen gerade der EU haben ergeben, dass Gesetze nicht selten unnötigen Aufwand für die Betroffenen und Anwender erzeugen, da diese schlichtweg ihr Ziel verfehlen oder von anderen Regelungen überlagert werden. Laut Studien ist dort ein Einsparpotential von bis zu 50 Milliarden Euro vorhanden. Bei Zeiten knapper Kassen sollte dies auch den Bundesfinanzminister aufhorchen lassen!

Doch wie soll in Deutschland das Recht klarer, transparenter und verständlicher werden? Es muss mehr gehandelt statt diskutiert werden! Klare Kompetenzabgrenzungen zwischen Bund und Ländern müssen her. Ich denke auch, dass man sich ein Beispiel an Hessen nehmen sollte und den Paragrafen-Dschungel von unnötigem Ballast befreit. Dies wäre zumindest ein erster Schritt. Denn wie sagte schon Montesquieu: „Etwas ist nicht recht, weil es Gesetz ist, sondern es muss Gesetz sein, weil es recht ist“.