Justiz im Umbruch

Ein Beitrag von Axel Wintermeyer, rechtspolitischer Sprecher der CDU Fraktion im Hessischen Landtag

Überlange Verfahrensdauern, zu viele und zu komplizierte Vorschriften und die oft unübersichtliche Ausdifferenzierung der Rechtswege – dies sind nur einige Schlagworte, die die Justiz im 21.Jahrundert kennzeichnen. Die Gerichte werden täglich mit Verfahren überflutet und fühlen sich längst selbst überfordert. Schließlich trägt der starke Kostendruck auf Bundes- und Landeshaushalte aber auch die notwendige Rechtsharmonisierung auf europäischer Ebene dazu bei, dass endlich über eine umfassende Reform des Justizapparates debattiert wird. Sicher ist, so wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.

Die aktuell diskutierte Justizreform beinhaltet die radikale Beschränkung der Gerichte auf ihre „Kernaufgaben“. Das heißt die Straffung der organisatorischen, institutionellen und verfah-rensrechtlichen Strukturen, auf das rechtsstaatlich Notwendige.

Dieser Ansatz ist ein positives Signal. Unsere Justiz und ihre Daseins- und Entscheidungs-struktur müssen den Lebenswirklichkeiten des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Überdies ist es wichtig, die vorhandenen, qualifizierten Ressourcen effizient und zielorientiert zu nutzen.

Kein Reformvorschlag kommt daher um die Entscheidung herum, welche Aufgaben er der Justiz – und hierbei konkret: einem Richter – vorbehalten und welche Bereiche er anderen Institutionen und Personen zuweisen will. Was sind also die Kernaufgaben der Gerichte?

Das Grundgesetz legt in Artikel 92 in aller Kürze fest: „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut.“ Gemeint ist damit die nach einem förmlichen Verfahren gefundene, verbindliche und rechtskräftige Entscheidung durch ein unabhängiges Organ, das streitige Rechtsverhältnisse regelt.

Was also gehört nicht zum Kern gerichtlicher Aufgaben? Das Registerwesen, Erbscheinsfra-gen und viele Aufgaben des Gerichtsvollzieher- und Vollstreckungswesens, Teile der so ge-nannten „freiwilligen Gerichtsbarkeit“ zählen eher zur „Rechtspflege“. Die Definition von „Rechtsprechung“ brachte erst kürzlich der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof so knapp wie treffend auf den Punkt: Der Richter soll Streitfälle schlichten und den gestörten Rechtsfrieden wiederherstellen.

Warum also soll sich das Gericht mit der Erteilung von Erbscheinen aufhalten oder weiterhin für die Testamentseröffnung zuständig sein? In den meisten Fällen handelt es sich lediglich um unstreitige Amtshandlungen. Trotzdem muss sich die Justiz heute mit den Formalitäten beschäftigen, die im Erbrecht nötig sind. Hier könnten, wie zum Beispiel auch in Bereichen des Registerrechtes, Notare die anfallenden Aufgaben übernehmen.

Was die Neuzuweisung von Erbscheinsangelegenheiten von den Gerichten zu den Notaren angeht, gäbe es da verfassungsrechtlich keine Bedenken. Laut Art. 33 Abs. 4 GG handelt es sich weder um hoheitliche, noch um Aufgaben des Richters. Die gerichtsinterne Verteilung dieser Aufgaben auf nichtrichterliches Personal zeigt, dass es sich im Falle von Erbscheinsfragen nicht um „rechtsprechende“ Tätigkeiten, sondern um Belange der „Rechtsfürsorge“ oder „Rechtspflege“ handelt.

Ebenso könnten die Gerichte bei einvernehmlichen Scheidungen entlastet werden. Notare waren schon in der Vergangenheit bei der Erstellung von Scheidungsfolgevereinbarungen beteiligt.

Ein weiteres Beispiel ist der Gerichtsvollzieherdienst: Die derzeitige Situation führt dazu, dass die Vollstreckung oft länger dauert als der vorherige Prozess. Das zermürbt jeden Gläu-biger, der seinen rechtskräftig bestätigten Anspruch durchsetzen will. Sicher, die Verantwortung des Staates muss erhalten bleiben. Dennoch könnten in diesem Falle bestimmte Aufga-ben, wie die so genannte Beleihung auf Private übertragen werden.

Der Weg zu einer gerichtlichen Überprüfung muss natürlich in allen Fällen offen bleiben. Durch diese Möglichkeit wird derselbe Rechtsschutz wie bisher gewährleistet. Zugleich wird die Justiz von Aufgaben entlastet und kann Ihre Kernaufgabe, die Rechtsprechung, schneller und besser erfüllen.

Auch die Verfahrensstrukturen müssen deutlich gestrafft werden. Dazu gehören etwa Begrenzungen des Instanzenzuges und die Beschränkung auf eine Tatsacheninstanz. Eine vereinheit-lichte Prozessordnung könnte helfen, die Justiz transparenter, bürgernäher, effektiver und – in den anstehenden Debatten äußerst wichtig – kostengünstiger zu gestalten. Dazu müssen sich alle Justizminister aber endlich zu einem großen Schritt in die richtige Richtung entschließen. Die Zeichen dafür stehen so günstig wie lange nicht.