„Kinder kriegen die Leute sowieso“

Ein Beitrag von Axel Wintermeyer, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion

Von Konrad Adenauer stammt der Satz: «Kinder kriegen die Leute sowieso.» Es war eine andere Zeit, in der sich der erste Kanzler der Bundesrepublik so sicher sein konnte, dass es in deutschen Familien immer Kinder geben werde. Heute, Jahrzehnte später, stimmt diese Aussage nicht mehr. Wie in fast allen Staaten Europas hat der Geburtenrückgang auch hier zu Lande ein dramatisches Ausmaß angenommen. Parallel dazu läuft eine andere Entwicklung ab: Bessere Lebensumstände und der medizinische Fortschritt lassen die Lebenserwartung in die Höhe schnellen – im Durchschnitt werden wir bald 100 Jahre alt werden.

Das entstehende Ungleichgewicht von Jungen und Alten ist ein Problem, da immer weniger junge und gesunde Menschen in die Sozialkassen einzahlen, jedoch immer mehr alte und kranke Menschen daraus versorgt werden sollen. Unser System, ein Generationenvertrag, steht auf der Kippe – ein politisches Pulverfass! Nicht lange wird es dauern, bis die Jugend – zu Recht – rebellieren wird. Aktuellen Berechnungen zu Folge werden die Geburtenjahrgänge ab etwa 1980 – sollte das aktuelle Rentensystem bestehen bleiben – sogar weniger an Rente erhalten, als was sie eingezahlt haben. Bedenkt man die Inflation innerhalb eines durchschnittlichen Erwerblebens und die Anlagemöglichkeiten auf dem Kapitalmarkt, so ist der Rentenbeitrag für junge Menschen schon heute ein Verlustgeschäft.

In naher Zukunft wird sich unweigerlich die Frage stellen, ob ein solcher Zustand überhaupt noch verfassungsgemäß ist – politisch bedenklich ist er jedenfalls schon längst. Die Zeit klassischer Umlagesysteme ist vorbei. Während der Bundestagswahl wurde vielfach Ehrlichkeit gegenüber den Bürgern eingefordert. Die ehrliche Antwort auf das demographische Problem ist: Jeder wird länger arbeiten und in einem höheren Maße selbst für sein Alter vorsorgen müssen. Durch neue Schulden lässt sich das Problem nicht mehr lösen. Die Formel, dass die Schulden von heute von der nächsten Generation getragen werden können, geht nicht mehr auf. Die nächste Generation will sie nicht und kann sie vor allem nicht mehr tragen.

Es ist deshalb nur konsequent, dass CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bis 2035 vereinbart haben. Eine verlängerte Lebensarbeitszeit ist keine unzumutbare Härte, auch wenn viele Kritiker derzeit versuchen, dieses Zerrbild zu zeichnen. Die heutigen «Alten» gleichen nicht denen von vor 20 Jahren. Überhaupt schon der «Begriff des Alters» ist im Wandel. Fragen wir uns doch einmal ehrlich: Was ist denn alt? Nicht mehr verwendbar zu sein? Krank zu sein? Oder gar 65 zu sein? Fakt ist, dass die heutigen Rentner zur agilsten Gruppe in unserer Gesellschaft zählen. Sie sind fit, unternehmungslustig und konsumfreudig. Das hat bereits auch die Wirtschaft entdeckt und produziert fleißig Werbekampagnen speziell für diese Zielgruppe.

Angesichts dessen ist eine gesteigerte Lebensarbeitszeit also durchaus zumutbar. Aber sie ist nur ein Schritt auf dem Weg zur Bewältigung des demographischen Problems. Eine insgesamt schrumpfende Bevölkerung wird auch eine radikale Veränderung des Arbeitsmarktes und der Infrastruktur nach sich ziehen. Fehlen heute massenweise Arbeitsplätze, werden in Zukunft massenweise Fachkräfte fehlen, es wird zu einer weiteren Bevölkerungskonzentration in Metropolen kommen, und die Globalisierung wird auch weiter voranschreiten.

Um dies alles zu kompensieren und auch im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, wird nicht nur die Produktivität jedes Einzelnen deutlich steigen müssen; jeder Einzelne wird auch selbst in einem größeren Maße als bisher für Gesundheit und Alter vorsorgen müssen. Die genannten Effekte sind nicht länger durch staatliche Mittel abzufedern. Eine Gesundheits- und Rentenvorsorge muss in Eigenverantwortung – aber dennoch durch den Staat strukturiert – organisiert werden, um zu verhindern, dass Einzelne nicht mangels Vorsorge der Solidargemeinschaft auf der Tasche liegen. Sie muss fordern, aber zugleich auch sozial gerecht sein. Und sie muss vor allen Dingen gut durchdacht sein, soll der Effekt nicht nach kurzer Zeit verpuffen.

Eine solch umfassende Lösung in den Nebelschwaden des Koalitionsvertrages in wenigen Wochen durchzupauken, hätte sicherlich zu Fehlern geführt. Diese Fragen auszuklammern, um sie später in Ruhe zu erörtern, war richtig und sinnvoll. Die große Koalition in Berlin steht aber in der Pflicht, in den kommenden vier Jahren eine grundlegende, dringend notwendige Reform einzuleiten. Die demographische Zeitbombe tickt jedenfalls.