Fröhliche WM-Nation

Ein Beitrag von Axel Wintermeyer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag

Die Deutschen sind mit Beginn der Fußball-WM zu wahren Fans der Nationalflagge geworden. Die Produktion der Fahnen und Fähnchen hat sich verzehnfacht. Die meisten Bundesbürger finden es gut, dass an immer mehr Autos und vor immer mehr Häusern Schwarz-Rot-Gold weht. Nach einer Umfrage im Auftrag des «Stern» sagten 61 Prozent der Befragten, sie fänden die vielen Fahnen gut oder sehr gut. Auch viele türkische Migranten werden von der Patriotismuswelle in Deutschland erfasst und fiebern mit dem DFB-Team. So kommt es vor, dass am Döner-Stand mit Deutschlandtrikot serviert wird.

Es ist, als hätte sich in den ersten zwei Wochen der Fußballweltmeisterschaft ein magischer Zauber über unser Land gelegt. Es gibt wunderbare Bilder, Gefühle, die unter die Haut gehen, und Szenen der Verbrüderung zwischen Anhängern aus allen Nationen, welche die eigentliche Botschaft des Sports transportieren: Im fairen Wettkampf gibt es keine Unterschiede.

Eines der Stereotype der Fußballersprache lautet: Das war ein Auftakt nach Maß. Nach diesen ersten WM-Tagen muss man sagen: Selten war der Ausdruck berechtigter. Volle Stadien, fröhliche Menschen, friedliches Aufeinandertreffen auf den Plätzen. Das Wetter tut ein Übriges. Kurz: Der Auftakt dieser Spiele im eigenen Land ist tatsächlich zu einem Fest geworden. Eine ganze Nation freut sich, freut sich mit anderen. Der unkonventionelle Bundestrainer trägt sein Scherflein dazu bei, die jungen Spieler, die sich so herrlich freuen können, die heiteren Fans, nicht nur die aus Trinidad und Tobago.

Es hat sich etwas verändert im Land. Nach 15 Jahren deutsche Wiedervereinigung hat sich der Umgang von Deutschen zu ihrem Land und das Bild Deutschlands in der weiten Welt normalisiert. Deutschland hat seinen festen Platz in Europa und in der Welt gefunden. So ist für uns Deutsche die nationale Identität wichtig und keinesfalls altmodisch. Heutzutage geht vor allem die junge Generation in unserer Gesellschaft selbstbewusst mit Patriotismus um. Wahrscheinlich auch, weil sie sich den dunklen und finsteren Flecken der deutschen Vergangenheit bewusst ist durch intensive Aufarbeitung in der Schule als auch in den Medien und der Öffentlichkeit.

Doch was bedeutet Selbstbewusstsein? Im fußballerischen Jargon ausgedrückt sagte der Spielmacher des deutschen Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard, einmal: «In einer Welt , die immer mehr in die Weite strebt, bedarf ein freies Volk eines gesunden nationalen Selbstbewusstseins. Nur wer sicher in sich selbst ruht und um seine Wurzeln weiß, wird diesen Weg gehen können, ohne sich zu verlieren.» Kein Land hat es in den vergangenen fünf Jahrzehnten so gut wie Deutschland vermocht, in diesem Ausmaß die Anwesenheit von Wohlstand und die Abwesenheit von Armut zu verbinden. Dieses nationale Wir-Gefühl spiegelt sich am meisten wieder bei sportlichen Großereignissen und vor allem dann, wenn zweiundzwanzig Männer einer Lederkugel hinterher jagen.

In seinem neuen Buch «Wir Deutschen» plädiert Spiegel-Kulturchef Matthias Matussek dafür, unser Verhältnis zur Nation neu zu bestimmen und spricht sich für einen entspannten Patriotismus aus. Wenn man die bisherigen WM-Wochen reflektiert, muss man ihm zustimmen. Unser Land hat, sechzig Jahre nach Kriegsende, anscheinend über Nacht gelernt, mit den Symbolen der Nation entspannt und leicht umzugehen. Unter dem Strahlen der Sonne wehen unendlich viele schwarz-rot-goldene Fähnchen aus den Autos, die Menschen wirken fröhlicher und weniger deutsch-ernst als sonst. Und bei den drei Vorrundensiegen der deutschen Nationalmannschaft bewiesen die heimischen Fans mediterrane Leichtigkeit, als sie mit Hupkonzerten, wildem Fahnenschwenken und spontanen Gesten auf den Straßen den Erfolg der Klinsmann-Elf feierten.

Sollten die Deutschen auf dem Weg zur normalen Nation sein? Allein deshalb sei gehofft, dass Klinsmanns Männer lange im Turnier bleiben, um der Gesellschaft zu helfen, das neue Gefühl nationaler Leichtigkeit zu genießen und zu festigen. Doch diese neue Form von Patriotismus ist anderen nicht geheuer. Die Lehrergewerkschaft (GEW) hat sich gegen die deutsche Nationalhymne ausgesprochen. Das Deutschlandlied transportiere die Stimmung des Nationalismus, so die Meinung der GEW. Just in dem Moment wo viele unverkrampft und wie selbstverständlich am heimischen Fernseher, auf den öffentlichen Plätzen und im Stadion selbst, die Nationalhymne singen. Zu Recht hat die Öffentlichkeit und die Politik mit Unverständnis darauf reagiert. Ein Eigentor erster Güte!

Was treibt die Deutschen nun auf die Straßen? Partylaune, Gruppenerlebnis oder das Ausleben von Patriotismus? Das Publikum schwenkt nicht nur stolz die schwarz-rot-goldene Fahne. Nein. Sie schwenkt sie auch fröhlich und unbekümmert. Gerade dieser Tage feiert man in Deutschland mit kaum für möglich gehaltener Leichtigkeit, Fröhlichkeit, Leidenschaft und Weltoffenheit die Fußball-WM.

Wünschen wir uns noch weitere tolle WM-Tage und der Nationalmannschaft viel Glück und Erfolg. Doch wenn man der Arithmetik glauben schenken kann, benötigt «unsere» Elf kein Glück. Aus mathematischer Sicht werden «wir» Weltmeister. Denn multipliziert man die beiden WM-Siege von ´54 und ´74 und subtrahiert man den WM-Sieg von 1990 kommt man zu einem sehr hoffnungsvollen Ergebnis: 2006!