Den Stillstand aufhalten

Ein Beitrag von Axel Wintermeyer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag

Die Landtagswahl vom 27. Januar hat unser Land in eine komplizierte politische Lage versetzt. Entsprechende Hoffnungen, gefühlte Wahlsiege in Mehrheiten zu verwandeln, sind an der Grundsatzfestigkeit Einzelner gescheitert. Auch wenn diese Situation Ergebnis des Bürgerwillens ist, darf dies im Interesse des Volkes nicht zu einem Stillstand führen. Unser Land braucht eine handlungsfähige Regierung zur Erhaltung des erarbeitenden Spitzenplatzes. Diesen zu sichern ist nun Aufgabe aller Beteiligter.

Das zähe Ringen um Mehrheiten und die „aktive Versprechens-Bekämpfung“ von Ypsilanti mit dem Umwerben der Linkspartei haben über Hessen hinaus in den vergangenen Monaten für Schlagzeilen gesorgt. Am 5. April hat sich der neue Landtag konstituiert. Die ersten Abstimmungen sind mit wechselnden Mehrheiten erfolgt. Wo sich heute Allianzen gebildet haben, können sich morgen die Verbündeten schon wieder als politische Gegner gegenüber stehen. Diese mangelnde Berechenbarkeit stellt alle Abgeordneten, die Mitverantwortung für die Verlässlichkeit der Landespolitik tragen, vor eine große Herausforderung: in dem Gegenüber von Landtag und geschäftsführender Landesregierung liegt die Gefahr der Handlungsunfähigkeit. Damit es soweit nicht kommt, müssen Mittel und Wege gefunden werden, das Land „regierbar“ zu erhalten. „In gemeinsamer Verantwortung für Hessen – Mut zu neuen Wegen“, so lautet der Titel des Konzepts von Ministerpräsident Roland Koch, aus dem sich die Leitlinien künftiger Regierungsarbeit ergeben. Ein jeder ist sich dabei bewusst: eine geschäftsführende Landesregierung ist ein Provisorium. Es regelt einen verfassungsrechtlichen Grenzfall und bewahrt Hessen zumindest formell vor der Regierungsunfähigkeit. Eine geschäftsführende Landesregierung hat vorrangig ein Interesse daran, dass die Zeit des Provisoriums so kurz wie möglich ist. Denn: Aus der Mitte des Landtags, mit einer entsprechenden Mehrheit, muss eine Regierungsbildung entstehen.

Aber eine geschäftsführende Regierung darf nicht Spielball der Parteien sein, sondern muss auch weiterhin Akzente setzen. Dass dabei verstärkt der Dialog im Mittelpunkt stehen muss, ist selbstredend. Die Tatsache, dass es weder eine Opposition noch eine Koalition im Landtag gibt, sowie der Aspekt wechselnder Mehrheiten bei der Abstimmung von Sachfragen wie z.B. bei Studiengebühren, Schulpolitik und Haushaltsfragen, führt zu einem Stilwechsel. Ein Stil der „offenen Tür“ kündigt sich an. Vorbei die Wahlkampfzeiten und das gegenseitige Säbelrasseln. Das Land muss regiert werden und dafür benötigt es Parlamentarier mit kühlem Kopf und Einsatzbereitschaft verantwortungsvoll und sachlich Politik, zum Wohl des Landes und seiner Bürger, zu gestalten. Es gilt vor allem, einen politischen Stillstand zu vermeiden. Der Preis hierfür ist: Politik wird unübersichtlicher und Konturen von Regierung und Opposition verschwimmen.

Entscheidungen von grundsätzlicher landespolitischer Bedeutung werden allerdings in Zukunft durch die komplizierten Mehrheitsverhältnisse schwer zu verwirklichen sein. Hierbei gilt es, Differenzen zu beseitigen und politische Schnittmengen auszuloten. Ein Beispiel der Politik des neuen Stils könnte die Schulpolitik sein. Die Anknüpfungspunkte in der Schulpolitik zwischen CDU, FDP und Grünen sind zahlreich und zeigen, dass es sinnvoll ist, miteinander zu reden. In concreto gibt es schwarz-grüne Schnittmengen bei der Verbesserung des achtjährigen Gymnasiums (sog. G8) und dem grundsätzlichen Verständnis von Schulpolitik. Grüne, FDP und CDU wollen G8 grundsätzlich beibehalten, aber zum Beispiel durch Entschlackung der Lehrpläne und eine Entlastung der Mittelstufe verbessern. Die SPD will G8 wieder abschaffen und Hessen im Wettbewerb mit allen anderen Bundesländern zurückwerfen. Sie pocht auf ihre utopische Einheitsschule. Grüne, FDP und CDU setzen auf individuelle, freiwillige Lösungen und Schulvielfalt, im Gegensatz zu kollektiven Zwangslösungen wie der verpflichtenden Ganztags- und Einheitsschule. Gleiches gilt für die Neuorientierung in der Umwelt- und Energiepolitik. CDU und Grüne werden sich zwar wohl kaum beim Thema mittelfristiger Nutzung CO²-freier Kernenergie einig werden, aber im Bereich regenerativer Energien und CO²-Einsparungen sind beide Parteien nicht weit auseinander. Ein Gespräch auf sachlicher Ebene mit einer nüchternen Diskussion ist hierbei unausweichlich und wünschenswert. Ein guter Test für Jamaika, also einer ersten Zusammenarbeit von FDP, Grüne und CDU in Hessen? Warten wir es ab. Schließlich bedeuten Kompromisse immer, dass sich nicht nur eine Seite bewegt, sondern beide aufeinander zugehen.

Die Politik muss handeln. Es müssen neue Wege beschritten werden – sachlich aber auch in der überparteilichen Zusammenarbeit. Hamburg und seine erste schwarz-grüne Regierung machen vor, dass es gehen kann. Allerdings nicht um jeden Preis.