13.8.1961 – Betonierte Freiheitsberaubung

Ein Beitrag von Axel Wintermeyer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag

„Nun wächst zusammen, was zusammen gehört“, dieser Ausspruch des verstorbenen Bundeskanzlers Willi Brandt spiegelte die Gefühlslage der Wendezeit beispielhaft wieder, viele Deutsche vor 20 Jahren dachten so. Montagsdemos, die Fluchtwellen von DDR-Bürgern über die sogenannte „grüne Grenze“ zwischen Ungarn und Österreich, die Rede Hans-Dietrich Genschers auf dem Prager Botschafterbalkon, die Besonnenheit der Alliierten Siegermächte, der unermüdliche Einsatz Helmut Kohls die, beiden deutschen Teilstaaten zu vereinen und die unbegrenzte Reisefreiheit für alle DDR-Bürger sind nur ganz wenige bleibende Erinnerungen, des im Rückblick doch so schillerndem und glücklichem Jahr 1989. Der Eiserne Vorhang, der Deutschland und tausende von Familien in Ost und West auf das Hässlichste teilte, war nicht mehr. Die DDR-Diktatur implodierte und mit ihr auch die Berliner Mauer.

Die Berliner Mauer – Sinnbild des Kalten Krieges und der betonierten Freiheitsberaubung war zu diesem Zeitpunkt 28 Jahre alt. Viele glaubten sie werde noch mindestens genauso lange weiter bestehen. Sie wurde provisorisch am 13.August 1961 errichtet, um den Flüchtlingsstrom gen Westen zu stoppen. Dieser Aderlass konnte auch nach dem Bau der Mauer nie ganz aufgehalten werden. Hatten bis 1961 rund drei Millionen DDR-Bürger die gesellschaftliche und individuelle Freiheit im Westen gesucht, so folgten von 1962 bis 1988 doch jedes Jahr zwischen 45 000 (1963) und 12 000 (1983) dem Ruf der Freiheit. Oftmals gelang unter abenteuerlichsten Wegen und unter Lebensgefahr die Flucht. Viele stellten einen Ausreiseantrag. Ein langwieriges Procedere mit oftmals harten Repressalien gegenüber den Antragstellern, wie uns nicht zuletzt die Verfilmung der Lebensgeschichte von Jutta Fleck, „der Frau vom Checkpoint Charlie“, eindrucksvoll verdeutlichte. Im Wendejahr 1989 blutete die DDR regelrecht aus, flüchteten doch bis Ende August 1989 mehr als 74 000 DDR-Bürger „in den Westen“. Viel höher war noch die Zahl derer, die einen Antrag auf Ausreise gestellt, ihn aber nicht bewilligt bekamen.
Als die Ungarn ihre Grenze nach Österreich öffneten, gab es im Sommer 1989 kein Halten mehr. Aber auch ein stolzer Blick muss auf die geworfen werden, die sich trauten nunmehr offen gegen das marode SED-System aufzubegehren. Die Montagsdemonstrationen fanden immer größeren Zulauf und jeder, ob im Westen oder im Osten, wusste: Ein historischer Moment liegt in der Luft. Es wurde sozusagen an den Grundfesten der „Mauer“, dem Sinnbild der deutsch-deutschen Teilung, gerüttelt. Doch wie genau kam es zum Mauerbau? Vor genau 48 Jahren wurde die Mauer gebaut. Das DDR-Unrechtsregime unter der Führung Ulbrichts beteuerte zwar noch Anfang August 1961, niemand habe die Absicht eine Mauer zu errichten. Doch zu diesem Zeitpunkt tüftelte die SED-Nomenklatur bereits an Plänen West-Berlin einzukesseln. Schnell wurde aus dem Provisorium eine regelrechte Befestigungsanlage. Die blasphemische Behauptung des DDR-Regimes man wolle seine Bürger mit einem „antiimperialisitischen Schutzwall“ schützen, zeigt Realitätsferne der SED-Diktatur. Schnell wurde auch die „grüne Mauer“, die innerdeutsche Grenze, mit Selbstschussanlagen sowie Beton und Stacheldraht ausgebaut und noch in den 1980er Jahren sehr kostenaufwendig modernisiert. Mehr als 125 Flüchtende, von Ida Siepmann am 22.08.1961 bis Chris Gueffroy am 05.02.1989, fanden den Tod. Die jahrzehntelange Instandhaltung sowie die laufenden Kosten der Inbetriebnahme der menschenverachtenden Grenzbefestigung waren exorbitant und belasteten den maroden DDR-Staat zunehmend.

Gerade die jüngere Generation kann mit der deutsch-deutschen Teilung wenig anfangen. Viele vergessen das gern, wenn sie über die DDR reden. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass immer mehr, immer weniger mit der Trennung Deutschlands und der Wiedervereinigung anfangen können. Zu Selbstverständlich ist es heute von Dresden nach Frankfurt, oder von Berlin nach München zu fahren. Müssen wir dieses fehlende Wissen dulden? Auf gar keinen Fall! Doch wer sollte den Anstoß für eine gesellschaftliche und kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte geben? Die staatlichen Bildungseinrichtungen, vorneweg die Schulen! Dort beziehen die jungen Menschen zum erheblichen Teil ihr Wissen. Die Schulen müssen ein faires und objektives Gegengewicht zu dem bilden, was Eltern und Großeltern erzählen. Es gibt viele Studien, die belegen, dass in den Schulen kaum über die DDR geredet wird, dafür aber in fast allen Familien. Die positive Sicht auf die Vergangenheit ist keine ostdeutsche Eigenheit, nahezu alle Deutschen neigen dazu – um der Selbstbehauptung willen.

Hier ist die Politik gefordert. Unlängst hatte der Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, gefordert: Erst wenn die kommunistische Diktatur den Deutschen auch so präsent ist wie das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten, ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts gelungen. Wenn manche Lehrer, meist in Ostdeutschland, nicht mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert werden wollen, dann müssen die Bildungsministerien konkrete Vorgaben machen. In Projektwochen, durch Zeitzeugenbefragungen oder Besuchen in Gedenkstätten kann man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Der Geschichtsunterricht muss lebendiger und anspruchsvoller werden. „Das Tor der Geschichte war offen und wir sind hindurchgegangen“ dieses Zitat stammt vom Altkanzler Helmut Kohl, der die Gunst der Stunde nutzt und den unzähligen „Wir sind ein Volk“-Rufer die deutsche Wiedervereinigung und die Überwindung der „Mauer“ bescherte. Mauerbau, deutsch-deutsche Trennung und Wiedervereinigung müssen unverrückbar im kollektiven Gedächtnis und im festen Bildungskanon der jungen und allen künftigen Generationen sein. Das gebietet schon allein der Respekt vor den vielen Maueropfern.

Der Mauerbau war ein Inbegriff des Kalten Krieges – der Trennung Deutschlands. Dass Schüler sich angeblich nicht für die Vergangenheit interessieren, ist eine bequeme Ausrede derer, die es nicht schaffen, ihr Interesse zu wecken. Aus der Geschichte soll und muss man lernen. Nur so versteht man unser heutiges Leben, unsere Gesellschaft, das Hier und Jetzt.