Zwischen Rausch und Realität: Warum die Grünen jetzt eine ganz normale Partei sind

von Axel Wintermeyer MdL, Staatsminister und Chef der Hessischen Staatskanzlei

Hat sich das parteipolitische Gefüge der Bundesrepublik am vorletzten Sonntag eruptiv verschoben? Befindet sich die Republik im grünen Allzeithoch? Oder ist Deutschland sogar auf dem Weg in ein Drei-Parteien-System? Wird eine vermeintliche Volkspartei jetzt zum Juniorpartner der Grünen?

Die Wahlanalysen dieser Tage sind ebenso verschieden wie verwirrend. Wo vor Jahresfrist noch analysiert wurde,  Koalitionen seien zukünftig nur noch mit drei Partnern möglich, werden jetzt die Grünen als neue dauerhafte Kraft im politischen System erkannt. Tatsächlich spricht nichts dafür, dass grüne Politik auf Dauer einen stabilen Beitrag zu langfristigen politischen Entscheidungen leisten kann.

Die Ergebnisse des Wahltags waren eine Kombination vieler Faktoren. Gerade bei dem knappen Ergebnis in Baden-Württemberg war ohne Zweifel ausschlaggebend, was die anglo-amerikanische Presse „German Angst“ nennt. Die menschliche und technische Katastrophe in Japan wurde politisch  instrumentalisiert, Ängste wurden geschürt und die Wahlen – erfolgreich  – zur Abstimmung über Kernkraft erklärt. Als ob sie dieses gewesen wären. Selbst im hessischen Kommunalwahlkampf tauchten plötzlich Anti-Atomkraft-Banner und -Plakate auf. Inhalte und Symbole, die mit kommunalen Entscheidungen rein gar nichts zu tun haben.

Jetzt aber, wenige Tage nach der Wahl, wird alleine mit einer Politik der Angst kein Staat zu machen sein. Vor allem die Grünen werden sich daran messen lassen müssen, ob sie bereit und in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen.

Bisher konnten sich die  Grünen auf einen bis tief in bürgerliche Schichten hineinreichenden vermeintlichen Konsens zu ihren Themen stützen. Seien es die mit großem finanziellen Aufwand betriebenen „Verbraucherschutzkampagnen“ der ehemaligen grünen Vorzeige-Ministerin Künast, die Lebensmittelskandale und Gentechnologie anprangerte, ohne aber durch geeignetes Handeln Missstände auch für die Zukunft verhindert zu haben. Seien es Landes- und Bundesumweltminister wie Fischer und Trittin, die in ihrer Regierungszeit zu keinem Zeitpunkt Maßnahmen ergriffen haben, um die von ihnen verteufelten Kernkraftwerke abzuschalten oder wenigstens sicherheitstechnisch aufzurüsten  oder gar neue Energieerzeugungsquellen in ausreichendem Maße zu erschließen. Sie gaukelten alle einer Wohlstandsgesellschaft den Schein einer schönen neuen Welt vor, ohne jemals einen Beitrag zu deren Verwirklichung geleistet zu haben.

Zum Erfolg dieser Politik aus Ankündigungen und Angst haben auch viele Medienvertreter beigetragen. In der Berichterstattung der letzten drei Wochen fehlten Themen wie:  Auseinandersetzungen mit den sehr komplexen Fragen einer zukünftigen Energieversorgung,  der Bedeutung der Versorgungssicherheit für den Wohlstand unserer Gesellschaft und realistischen Perspektiven, bis wann ein Ausstieg aus der Kernenergie tatsächlich möglich ist.  Stattdessen: Strahlungswerte im Minutentakt, ein hessischer Radiosender  trieb es auf die Spitze, indem er in hessischen Krankhäusern der Vorrat an Jod-Tabletten erfragte. All dies funktioniert nur, weil wir tatsächlich einer fundamentalen Verschiebung im politischen Gefüge unterliegen – nicht seit dem Wahlsonntag, aber als schleichendem Prozess über viele Jahre. Die Erosion der politischen Blöcke wurde erstmals sichtbar am Niedergang der SPD, durch das Wegbrechen des Arbeitermilieus und die Abspaltung der ewig Gestrigen zu den Linken. Mit der FDP ist nun die zweite Partei im Überlebenskampf, denn die einstige Partei des Bildungsbürgertums verliert massiv Wähler gerade aus dieser Klientel an die Grünen. Es sind die Stimmen jener, die es sich leisten können, grün zu sein – den Modegrünen. Grüne Rhetorik trifft eben den Zeitgeist. Es geht nicht mehr um Wohlstand – den hat man ja – sondern ums Wohlfühlen! Wenn grüne Rhetorik jedoch mit grüner Programmatik und der Wirklichkeit kollidiert, zeigen sich die Sollbruchstellen. Werden die neu hinzugewonnen wohlhabenden Grünenwähler in Zukunft auch bereit sein, auf ihr Auto zu verzichten und nur noch den ÖPNV nutzen? Werden sie bereit sein, einen vielfach höheren Strompreis zu zahlen? Werden sie es mittragen, wenn die Grünen in Baden-Württemberg die Gymnasien abschaffen und ihre Kinder auf Einheitsschulen schicken? Wenn der Siegesrausch in Kürze erst einmal verflogen ist und Rhetorik auf Wirklichkeit trifft, wird eine Sollbruchstelle nach der anderen bersten – eine Chance für die FDP, hier wieder Boden gut zu machen. Und vor allem die Grünen, die vom Trend profitiert haben, werden sich nicht mehr unter dem Deckmäntelchen der Wohlfühlthemen wegducken können. Sie sind in der harten Realität angekommen.

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