Verantwortung lernen

Ein Beitrag von Axel Wintermeyer, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag

M. ist 15 Jahre alt, er kommt aus einer gut behüteten Familie. M. spielt Fußball im Verein und geht auf das Gymnasium. In seiner Freizeit geht er gerne mit seinen Freunden ins Kino, schlendert durch Fußgängerzonen – ein typischer Jugendlicher eben. Nun steht er vor Gericht. M. hatte sich in einem Sportgeschäft ein Fußballtrikot in die Tasche gesteckt, ohne es zu bezahlen und wurde vom Kaufhausdetektiv erwischt. Eine Jugendsünde?

Ob es nun ein jugendliches Kavaliersdelikt ist oder der Beginn einer kriminellen Karriere, mag dahingestellt sein. Fakt ist: Es ist Diebstahl, und der Kaufhausdetektiv hat die Sache der Polizei weitergeleitet. Es kam zur Anzeige. Nun steht der Fünfzehnjährige vor Gericht.

Doch der Gerichtstermin ist merkwürdig. Dem Jugendlichen sitzen keine Richter in schwarzen Roben gegenüber, die mit drohendem Zeigefinger seine Tat rekapitulieren und ihm zur Besserung ermahnen. Nein. Auch ein smarter Richter oder eine gut aussehende Schauspielerin im richterlichen Talar wie in diesen x-beliebigen TV-Gerichtshows nach amerikanischem Vorbild stehen dem Jugendlichen nicht gegenüber. Vielmehr sitzen ihm drei etwa gleichaltrige Jugendliche gegenüber. Alle leger gekleidet in T-Shirts und Jeans. Es sind «jugendlichen Laienrichter», und der Jugendliche steht vor dem sog. «Teen Court».

Gericht-Shows laufen im Fernsehen fast jeden Nachmittag. Viele Kinder und Jugendliche sind fasziniert von den Gefühlsausbrüchen und den wilden Geschichten, wie sie das Leben nicht schreibt.

In Wiesbaden aber hat im Oktober ein Gegenentwurf zu dem Klamauk auf der Mattscheibe begonnen. «Teen Court» – Jugendliche sitzen über Jugendliche zu Gericht. Wer etwas gestohlen oder mutwillig zerstört hat, wer andere beleidigt oder geschlagen hat, der ist künftig bei den «jugendlichen Laienrichtern» an der richtigen Adresse. Die Staatsanwaltschaft weist den jugendlichen Projektteilnehmern des «Teen Courts» die Fälle zu, sofern die Eltern und Täter damit einverstanden sind. Akzeptiert der jugendliche Täter die von den Gleichaltrigen verhängte Strafe wird das offizielle Verfahren eingestellt.

Wie der Name es verraten lässt, sind die so genannten «Teen Courts» aus dem angloamerikanischen Raum adaptiert worden. Dort erfreuen sie sich großer Beliebtheit, nicht nur unter Jugendlichen. Viele Pädagogen sehen in der Einführung der Schülergerichte die Möglichkeit, den Jugendlichen Verantwortungsbewusstsein und Rechtsempfinden zu vermitteln.

In Bayern gibt es solche Schülergerichte schon seit fünf Jahren. Eine Studie der Universität München hat herausgefunden, dass die Rückfallquote der Jugendlichen, deren Fälle vor den bayrischen «Teen Courts» verhandelt wurden, zwölf Mal niedriger sind als vergleichbare Fälle, die vor den Jugendgerichten behandelt wurden. Feingefühl entwickeln hierbei nicht nur die Jugendlichen, die in die richterähnliche Rolle geschlüpft sind, sondern auch die Jugendlichen, die vor dem «Kadi» stehen. Auch lernen sie Verantwortung zu übernehmen.

Jugendliche wie M. werden vor dem «Teen Court» mit ihrer Tat und der dazugehörigen Schuld unmissverständlich konfrontiert. Das Schamgefühl spielt hierbei eine Rolle, da die Missbilligung von Altersgenossen manchmal effektiver wirkt als der erhobene Zeigefinger eines Berufsrichters. Eine abschreckende Wirkung ist garantiert.

«Hinter Strenge und Härte verbirgt sich die helfende Liebe, die weiß um die Verstrickung aller in Schuld und Unrecht.» Dies war einmal ein hehrer Grundsatz eines erfahrenen Jugendrichters im Jahre 1958. Die Aussage ist aktueller denn je, auch für M. Die Konfrontation mit seiner Tat, der Umgang mit Gleichaltrigen bei der Urteilsfindung haben M. die Erkenntnis gegeben «etwas Falsches» gemacht zu haben.

Das «Teen-Court»-Projekt hat seinen Zweck erfüllt. Eine Sache darf aber nicht aus den Augen verloren werden. Die Aufgaben der Gerichte kann sie allerdings nicht ersetzen. Jugendkriminalität ist kein Resignationsgrund. Der «Teen Court» konfrontiert und sensibilisiert Jugendliche mit Fragen von Schuld, Sühne sowie der Frage, was eine angemessene Strafe sein kann. Kurzum: Das Gefühl von Gerechtigkeit wird erlernt.